Von der betrieblichen Übung zur individuellen Übung

Arbeitsvertrag

Eine betriebliche Übung entsteht bekanntermaßen, wenn der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern wiederholt und vorbehaltlos vertraglich nicht geschuldete Leistungen wie Gratifikationen und Sonderzahlungen erbringt. Die meisten Arbeitsverträge enthalten Schriftformklauseln, die absichern sollen, dass derartige betriebliche Übungen nicht entstehen können, weil sie nicht in ein Schriftstück gegossen werden.

Nach der neueren Rechtsprechung reicht die genannte Schriftformklausel jedoch nicht aus. Das Bundesarbeitsgericht erkennt nämlich neben der betrieblichen Übung neuerdings auch eine „individuelle Übung“ an, indem es aus dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers (Zahlung einer Sonderzuwendung) ein Angebot an den Arbeitnehmer zu einer entsprechenden Vertragsänderung sieht, das durch schlüssiges Verhalten (also die dankbare Entgegennahme des Betrages) angenommen werden kann. Es entsteht auf diese Weise ein vertraglicher Anspruch auf die entsprechende Leistung für die Zukunft. Die Schriftformklausel des Arbeitsvertrages hilft hiergegen nicht, weil es sich bei der individuellen Übung rechtlich um eine Individualvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt, die allgemeinen Geschäftsbedingungen, wie sie Arbeitsverträge in Regel enthalten, vorgeht.

Es gilt deswegen, jede Sonderzahlung schriftlich mit dem Hinweis anzukündigen, dass es sich um eine einmalige Leistung handele. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass diese Mitteilung den betroffenen Arbeitnehmern vor der Auszahlung zugeht. Ergibt sich die Freiwilligkeit nämlich nur aus dem Verwendungszweck der Überweisung, wird der Nachweis, dass der Vorbehalt bei Kenntnisnahme von der Zahlung bereits bekannt gewesen sei, nicht gelingen, denn der Arbeitnehmer kann stets geltend machen, den Zahlungseingang im Rahmen des Onlinebankings zwar gesehen, den Vorbehalt im Verwendungszweck jedoch erst später, zum Beispiel beim Ausdruck des monatlichen Kontoauszuges, wahrgenommen zu haben, also zu einem Zeitpunkt, indem es für den Vorbehalt zu spät ist.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt Dr. Andreas Nadler von der Kanzlei Busse & Miessen.

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