In vielen Arbeitszeugnissen kommt der Superlativ „vollsten“ zum Einsatz. Meistens steht dieses Wort im Zusammenhang mit einer Leistungsbeschreibung. Arbeitszeugnisse haben ihre eigene Sprache und die enthält oft versteckte Botschaften. Wenn ein Mitarbeiter eine gute Leistung erbringt und der Arbeitgeber ist damit zufrieden, schön und gut. Mehr als zufrieden sein kann man nicht. In der deutschen Sprache neigen wir jedoch in vielen Fällen gerne zur Übertreibung in Form von Superlativen und unnützen Füllwörtern. Dieser sprachliche Unsinn ist in Arbeitszeugnissen jedoch notwendig, bleibt er aus, bedeutet das nichts anderes als eine abgestufte Mitarbeiterbewertung. Schreibt der Arbeitgeber „Herr Schulze hat seine Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt“, ist seine Leistung zwar in Ordnung, jedoch nicht so gut wie eine Beurteilung, die mit dem Satz „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ endet.
Eine ungeschriebene Regel lautet, dass Arbeitgeber nur wohlwollende Arbeitszeugnisse ausstellen dürfen. Sie dürfen keine negativen Beurteilungen enthalten, um dem Arbeitnehmer nicht für den Rest seiner beruflichen Existenz das Leben schwer zu machen. Arbeitszeugnisse müssen klar und eindeutig formuliert sein und die Wahrheit über den Arbeitnehmer wiedergeben. Das Dokument darf keine Merkmale enthalten, die einen anderen Zweck als die wahrheitsgemäße Leistungsbeschreibung des Mitarbeiters verfolgen. Inzwischen haben sich jedoch feststehende Formulierungen und Begriffe in diese Dokumente eingeschlichen, die zu regelrechten Arbeitszeugnis-Codes geworden sind. Die Leistungsbeschreibung ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich bereits kleine Wörter auswirken. Diese Abstufung der Leistungsbewertungen nennt man Positivskala. An diesem Punkt ist anzumerken, dass ein Arbeitgeber jedoch nicht in jedem Zeugnisabsatz „stets höchste Leistungen“ bescheinigen kann. In diesem Fall wirkt ein Arbeitszeugnis mit sich aneinanderreihenden Superlativen unglaubwürdig.
Note 1: „Herr Schulze führte alle Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit aus."
Note 2: „Herr Schulze führte alle Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit aus."
Note 3: „Herr Schulze führte alle Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit aus."
Note 4: „Herr Schulze führte alle Aufgaben zu unserer Zufriedenheit aus."
Alleine an diesem Satz sehen wir, wie wichtig scheinbar unwichtige Füllwörter wie „stets“ und „voll“ sind, die gerne mal überlesen werden. Der Arbeitgeber hat sich in seiner Leistungsbeschreibung an die ungeschriebene Regel gehalten, ein wohlwollendes Arbeitszeugnis auszustellen, das sich nicht negativ über den Arbeitnehmer äußert. Und dennoch weiß jeder Nachfolge-Arbeitgeber genau Bescheid, ob dieser Arbeitnehmer nun sehr gut oder gut war oder nur befriedigende bis ausreichende Leistungen erbracht hat.
§113, Absatz 3 der Gewerbeordnung verbietet es Arbeitgebern, ihre Mitarbeiter und deren Leistung in einer aus dem Wortlaut heraus nicht erkennbaren Weise zu beschreiben. Übersetzt heißt das, ein Arbeitgeber darf keine Negativformulierungen in das Zeugnis aufnehmen, selbst wenn der Mitarbeiter dazu Anlass gegeben hat. Um dieses Gebot zu umgehen, verwenden Arbeitgeber die Arbeitszeugnis-Codes, um indirekt das zu sagen, was ihnen unter den Nägeln brennt.
„Sie war tüchtig und wusste sich gut zu verkaufen“. Diese Positivformulierung scheint in Ordnung zu sein, aber nur auf den ersten Blick. Jeder Arbeitgeber weiß, diese Mitarbeiterin war bei ihren Vorgesetzten und Kollegen unbeliebt und zeigte wenig Neigung zur Kooperationsbereitschaft.
„Mit seinen Vorgesetzten ist er gut zurechtgekommen.“ Bei diesem Mitarbeiter handelt es sich um einen Jasager, der sich auf Kosten der Kollegen bei den Vorgesetzten anbiedert.
„Er verfügt über Fachwissen und hat ein gesundes Selbstvertrauen.“ Ein arroganter Mitarbeiter und Besserwisser, der eigentlich wenig bis gar nichts weiß.
„Er trat engagiert für die Interessen der Kollegen ein.“ Er war Betriebsratsmitglied.
„Er erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst und ordnungsgemäß.“ Ein Bürokrat, der Dienst nach Vorschrift ohne Eigeninitiative schiebt.
„Sie bemühte sich, stets ihr Bestes zu geben und die ihr gestellten Aufgaben zu unserer Zufriedenheit zu erledigen.“ Sie gab sich Mühe, ihr Einsatz blieb jedoch erfolglos.
„Sie kam mit ihren Kollegen sehr gut aus.“ Sie war auf sexuelle Abenteuer mit ihren männlichen Kollegen aus.
„Herr Schulze war bei seinen Kollegen und Vorgesetzten beliebt.“ Er kam zwar mit seinen Kollegen, nicht jedoch mit seinen Vorgesetzten aus. Wäre er bei beiden Parteien beliebt gewesen, wären die Vorgesetzten als ranghöhere Mitarbeiter vor den Kollegen genannt worden.
„Herr Schulze war bei seinen Kollegen beliebt.“ Er kam mit seinen Kollegen gut zurecht, die Vorgesetzten sahen ihn jedoch lieber von hinten, weil in dieser Formulierung die Vorgesetzten nicht erwähnt werden.
Sie sehen, diese Formulierungen sind positiv formuliert, sagen jedoch genau das Gegenteil von dem aus, was auf dem Papier steht. Auch das Auslassen von Wörtern, Sätzen oder Absätzen (unvollständige Arbeitszeugnisse) gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, negative Beurteilungen auszusprechen. Ein Arbeitszeugnis, das ohne Dank und Zukunftswünsche endet, ist ein gutes Indiz für nachfolgende Arbeitgeber, dass sie mit diesem Mitarbeiter nicht gerade ein Ass gezogen haben. Bescheinigt ein Arbeitgeber dem Mitarbeiter nicht sein Bedauern darüber, dass er das Unternehmen verlässt und dankt ihm nicht für seine Mitarbeit, teilt er damit seinen Nachfolgern mit, dass er froh darüber ist, diesen Mitarbeiter nicht mehr zu seinem Team zu zählen.
Jeder Mitarbeiter hat das Recht auf ein Arbeitszeugnis ohne versteckte Codes. Dieses Recht soll Mitarbeiter vor ungerechtfertigter Willkür durch ihre Arbeitgeber, die in vielen Fällen vorherrscht, schützen. Dennoch gilt auch der Grundsatz, „Wahrheit geht vor Wohlwollen“. Diesen Spagat zu bewältigen, ist manchmal nicht einfach. Wo endet das Wohlwollen und wo fängt Wahrheit und Willkür an? Der nächste Artikel beantwortet diese Frage.