Amerikanische Kulturstandards: Was wir vom Gleichheitsdenken lernen können

Amerikanische Kulturstandards Was wir vom Gleichheitsdenken lernen können

„… all men are created equal“, erklärten die Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Unabhängigkeitserklärung vom 04. Juli 1776. Wir wissen um die amerikanischen Kulturstandards und den Wettbewerbs- und Konkurrenzgedanken eines jeden einzelnen Amerikaners, der sich permanent mit seinen Landsleuten misst.

Gleichheit trotz Individualität, geht das?

Der Konkurrenz- und Wettkampfgedanke wird groß geschrieben in Amerika. Als Kulturstandards werden Arten des Denkens, Wahrnehmens, Handels und Wertens bezeichnet. Sie genießen allgemeine Anerkennung in einem Kulturkreis und sind dort fest verwurzelt, auch ohne Gesetze, Normen und Vorschriften. Sie werden von der Mehrzahl der Menschen dieses Kulturkreises als normal, moralisch, typisch und verbindlich angesehen. Eigen- und Fremdverhalten werden aufgrund dieser Kulturstandards reguliert und gesteuert. Nun stellt sich automatisch die Frage, ob der Gedanke der Gründungsväter, dass alle Menschen gleich sind, diesem Individualismus nicht im Wege steht. Wie können alle Menschen gleich sein, aber dennoch mit einem Maximum an Individualität leben? Die Unabhängigkeitserklärung meinte mit diesem Gleichsein nicht ein Gleichsein im Sinne des Kommunismus vergangener Tage in den Ostblockstaaten und der DDR. Es gab nur wenig Volksvermögen, also keinen übermäßigen individuellen Reichtum. Eigentum wurde überwiegend verstaatlicht. Individualismus und persönliche Unabhängigkeit wurden zu Gunsten des Staates weitgehend unterdrückt, eine freie Marktwirtschaft, Wettbewerb und den Konkurrenzgedanken kannte man nicht.

Das amerikanische Gleichheitsdenken geht von einem anderen Grundgedanken aus. Alle Menschen sind gleich, weil sie alle dieselben Chancen haben sollen, ihr Recht auf persönliches Glück, das ihnen durch die amerikanische Verfassung garantiert wird, zu verwirklichen. Die Amerikaner gehen davon aus, dass alle Menschen die gleichen Voraussetzungen haben, um sich ein erfolgreiches und unabhängiges Leben aufzubauen, wenn sie sich nur genug anstrengen, niemanden ist der Weg verbaut, etwas zu erreichen, niemand wird durch oder von etwas ausgeschlossen. Aufgrund dieser kulturellen Lebensausrichtung verabscheut die Mehrzahl der Amerikaner staatliche Regulierungen und den Ausbau eines Sozialstaates, der die weniger Begünstigten unterstützt.

Wie ist dieser Kulturstandard auf den Berufsalltag umzulegen?

In amerikanischen Unternehmen wird der Wettbewerbsgedanke aller Mitarbeiter gefördert. Sie werden motiviert, eigene Ideen einzubringen, die Hierarchien werden möglichst flach mit einer geringen Machtdistanz gehalten. Der Grundgedanke ist, dass jeder Mitarbeiter seinen Anteil dazu beisteuert, um das gesamte Unternehmen erfolgreich zu machen. Trotz hoher Erwartungen an den Einzelnen gilt gegenseitiger Respekt, die Kommunikationsebenen sind direkt und ebenso flach wie die Hierarchieebenen. Dennoch werden Anweisungen in Form von Bitten geäußert. „Could you do this by Friday, if possible?“, “Do you think you could answer this e-mail?” und nicht “Get the report ready by Friday” oder “Answer this e-mail”. Es wird also immer höflich angefragt, ob jemand dieses oder jenes tun könnte oder nicht, was nicht heißen soll, dass Mitarbeiter in amerikanischen Unternehmen einen lauen Lenz schieben und diese höflichen Bitten ablehnen. Alleine durch dieses kleine bisschen Höflichkeit fühlen sich die Mitarbeiter motiviert und anerkannt und kommen diesen Bitten umso lieber nach. Sie tun alles dafür, um diese Aufgaben so schnell wie möglich zu erledigen. Entsprechend diesem Kulturstandard müssen Vorgesetzte selbstbewusste und charismatische Führungspersönlichkeiten mit einer natürlichen Autorität sein, um von ihren Mitarbeitern anerkannt und in ihrer Führungsperson akzeptiert zu werden. Aber genau diese Charakterzüge lieben die Amerikaner, egal, ob es sich um Führungspersönlichkeiten oder einfache Mitarbeiter handelt. Gesunder Ehrgeiz, Selbstbewusstsein, Konkurrenzdenken und Persönlichkeit werden groß geschrieben. „He’s a regular guy“ wird als großes Kompliment verstanden. Es zollt Respekt, weil da jemand ist, der trotz seiner Erfolge auf dem Teppich und umgänglich für alle geblieben ist.

Hohe Hierarchieebenen und Machtdistanz

Ist diese Respektebene erreicht, pflegen die Amerikaner auch in den Unternehmen einen eher informellen Umgang miteinander. Man spricht sich mit den Vornamen an und verringert die Distanz zueinander, indem gleichzeitig auf die Anrede mit Titeln verzichtet wird. Auch hier darf man jedoch nicht erwarten, dass eine ausschließlich lockere Plauderatmosphäre vorherrscht. Ganz im Gegenteil, aufgrund dieser gewährten Privilegien im Umgang miteinander wird von den einzelnen Mitarbeitern umso mehr Leistung erwartet, die sie jedoch gerne bereit sind, zu erbringen. In dieser Hinsicht können deutsche Unternehmen von den amerikanischen Kulturstandards noch etwas lernen. Bei uns sind die Hierarchieebenen eher stark ausgeprägt und eine große Machtdistanz zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen gegeben. In deutschen Unternehmen wäre es undenkbar, wenn ein Mitarbeiter der mittleren Ebene den Geschäftsführer oder einen Vorstandvorsitzenden oder Aufsichtsratsvorsitzenden mit Vornamen anreden würde. Auch schaffen wir aufgrund unserer „Titel-Mentalität“ eine hohe Machtdistanz. Die meisten Inhaber von Titeln wünschen es ausdrücklich, stets mit diesen angesprochen zu werden, egal, ob man sich einmal in der Woche oder zehnmal am Tag über den Weg läuft. Bei mehreren Titeln werden oft auch diese genannt: „Herr Prof. Dr. Müller …“. Oft wird auch der Name weggelassen und nur der Titel genannt: „Herr Dr., würden Sie sich diesen Entwurf einmal durchlesen?“

Diese Anrede verschafft noch mehr Machtdistanz und vergrößert zusätzlich die Hierarchiestufen, weil vorzugsweise der Titel eines Menschen ausschlaggebend ist, und weniger die Persönlichkeit. Für Amerikaner wäre dieses Verhalten undenkbar. Natürlich lieben auch sie persönliche Erfolge in ihrem Leben, die sie gerne zeigen. Sie richten jedoch nicht ihr ganzes Leben darauf aus, sondern nehmen erst einmal die Persönlichkeit eines Menschen in Augenschein und schauen, was sie damit anfangen können. Das schlimmste sind für Amerikaner Menschen mit einer farblosen Persönlichkeit, ohne Charisma und Konkurrenzdenken, die sich hinter Hierarchien und Titeln verstecken, denn dieses Verhalten steht dem Gleichheits- und Erfolgsgedanken der Gründerväter im Weg.

Das soll natürlich nicht heißen, dass in allen amerikanischen Unternehmen nur eitel Sonnenschein herrscht, keinerlei Konflikte und immer nur Freundlichkeit untereinander existieren. Der Grundgedanke, der diesen amerikanischen Kulturstandards jedoch innewohnt, wird zum großen Teil gelebt und ist zumindest eine Strategie, die eine genauere Betrachtung verdient.

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